Schnaps, Verdauung und klinische Studien

Nicht ganz Dußlingen-bezogen, aber im Tagblatt gab es auf der Seite „Stil und Leben“ wie alle Jahre wieder einen Beitrag zum Essen und Schnaps:

**Bauch voll - und nun?" – Schaps hilft bei der Verdauung, heißt es. Ein Trugschluss, denn Studien belegen, dass Alkohol die Verdauung bremst, statt sie zu befördern. Je mehr Alkohol, desto langsamer wird verdaut"

Studien belegen: na ja, es sind nicht so viele, und bei der am häufigsten zitierten in der Weihnachtsausgabe des British Medical Journal habe ich die gesamte Auswertung gemacht - die „Experimente“ wurden am Universitätsspital Zürich durchgeführt, Probanden gab es reichlich.

Henriette Heinrich, Oliver Goetze, Dieter Menne, statistician, Peter X Iten,
Heiko Fruehauf, Stephan R Vavricka, Werner Schwizer, Michael Fried
: Effect on gastric function and symptoms of drinking wine, black tea, or schnapps with a Swiss cheese fondue: randomised controlled crossover trial. BMJ 2010; 341.

Die Auswertung wird wahrscheinlich mathematisch richtig sein. Ob das Ergebnis allerdings so stimmt, wie es immer wiedergegeben wird, ist fraglich.
Die Magenleerung wurde nämlich nicht direkt gemessen, etwa mit Magnetresonanztomographie. Verwendet wurde ein Atemtest, bei dem die Isotopenverschiebung registriert wurde, das war angenehmer für die Probanden. „Irgendwie“ hängt das Ergebnis mit der Magenleerung zusammen, aber es hängt auch davon ab, ob Alkohol im Spiel war - damit weiß man nicht, ob eine Änderung durch die Anwesenheit von mehr Alkohol oder mehr Mageninhalt bestimmt wurde.

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Diese fürchterliche Graphik im Excel-Stil wurde nicht von mir verbrochen! Die Jungs und Mädels aus Zürich wollten sie so haben.

„Studien belegen“ sollte man immer mit etwas Vorsicht lesen. Dies ist aber keine Aufforderung zur Corona-Leugnung, die Erde ist rund, auch wenn sie ein Ellipsoid ist und ein paar Berge hat.

Besseres Neues

Danke für das interessante Paper! Gerade der Discussion-Abschnitt ist unterhaltsam geschrieben :rofl:
Dass Käsefondue offenbar „serious business“ ist zeigt sich auch bei weiterer Suche schnell, habe eben ein Paper über dessen rheologische Eigenschaften gefunden.

Zur Verdauung: Wirklich helfen dürften den meisten Leuten Bitterstoffe, sowohl zunächst zur Appetitanregung, als auch für die gastrointestinal-Motilität. Fragt sich, ob im Falle eines Kräuterschnäpsles der (offenbar negative) Alkohol-Effekt oder der der Bitterstoffe überwiegt… :thinking:

Eine weitere Problematik liegt darin, dass implizit angenommen, „schnellere Magenleerung“ bedeute weniger dyspeptische Empfindungen. Muss nicht sein, warum soll ein bisschen Magen nicht ganz gemütlich sein.
Nun beschäftigt sich bestimmt 20% der Gastro-Ernährungliteratur damit, dass es zwischen Symptomen und objektiven Befunden GANZ wenig Korrelationen gibt - von Causations ganz zu schweigen.

S’isch halt so vieles „funktionell“.